Gabriele Köhler bemalt und versteckt bunte Steine





Selten ist ein Gepäckstück, das mit der Fähre aus Bensersiel am Anleger auf Langeoog ankommt, so schwer wie dieses hier. Ein ganz normaler Koffer verlässt hier das Schiff, doch beim Inhalt hört es mit der Unscheinbarkeit auf – denn dies ist der Koffer einer Steinemalerin.
100 bunt bemalte Steine hat Gabriele Camilla Köhler mitgebracht, 100 Rohlinge noch mit dazu. „Und vor meiner Anreise schicke ich auch schon 100 fertige Steine auf die Insel“, erzählt die Künstlerin aus Verden (an der Aller). Das sind wahrlich viele Steine.
Und das hat auch einen Grund: Über die ganze Insel wollen diese schließlich verteilt werden. Ob hinter einem Stein, an einer Beetumrandung oder zwischen den Gräsern – wenn Gabriele Köhler im Urlaub auf Langeoog ist, sind die bunten Kunstwerke mit dem „GCK“ auf der Rückseite wirklich überall zu finden.
Um beim Verteilen der Steine nicht erkannt zu werden, nutzt die 72-Jährige einen einfachen Trick: „Ich tue einfach so, als ob ich meine Schnürsenkel binden würde“, erzählt sie, „und dann lasse ich einen Stein am Wegesrand liegen.“ Bevor nun jede Schnürsenkel-Bindende unter Generalverdacht steht – manchmal ist es auch bloß ein kleines Kieselsteinchen und nicht gleich ein Kunstwerk, dass zu einem offenen Schuh führt. Aber manchmal dann eben doch.
„Am häufigsten verteile ich die Steine im Dorf“, verrät Gabriele Köhler weiter. Aber auch weiter hinaus können Steinbegeisterte Detektiv spielen. „Wenn ich wieder eine Runde gedreht habe, poste ich auf Facebook und sage, dass sie wieder suchen können.“
Dort hat die Malerin schon so einige Fans: „Immer wenn ich Bilder teile, sind die Leute begeistert.“ Manchmal sind Sammler enttäuscht, die nichts finden. Da kann sie manchmal nachhelfen: Sammler, die erfolglos drei Stunden lang gesucht und nichts gefunden hatten, kommentierten unter einem ihrer Postings. „Da habe ich dann nachgeholfen und einen heißen Tipp geliefert – und vorher noch schnell einen Stein in eine leere Baumhöhle gelegt“, schmunzelt die frühere Beamtin.
Beliebt sind dieses Jahr ihre Briefmarken-Steine – nur als Porto sollte man diese lieber nicht verwenden. Aber auch der malende Rabe Socke findet großen Anklang und natürlich das Motiv „Oh, wie schön ist Langeoog“. Der Wasserturm darf auf den kleinen Bildern ebenfalls nicht fehlen, genauso wenig wie das Fischbrötchen. Gabriele Köhler guckt sich jeden Stein genaustens an und fragt ihn, was er werden möchte: „Und manchmal sagt der Stein dann eben, ‚Ich bin ein Fisch‘.“
Doch Gabriele Köhler malt nicht nur auf Langeoog, sondern auch in ihrer Heimat oder wenn sie mit dem Wohnmobil unterwegs ist. Da landen dann auch mal bunte Steine auf dem Campingplatz. Für eine Konfirmation malte sie 20 themenbezogene Steinchen an – alle mit einem anderen Motiv, als Ersatz für Tischkärtchen. „Da hab ich dann auch mal die Beatles gemalt“, lacht die Künstlerin.
Grundsätzlich möchte sie aber unerkannt bleiben und versteckt ihr Gesicht auf Fotos. „Es geht den Sammlern doch ums Steinefinden und nicht um mich!“ Persönlich frönt Gabriele Köhler ihrem Hobby einfach, weil sie gerne malt.
Zum Einsatz kommen dabei hauptsächlich Acrylstifte, denn mit diesen kann man auf kleiner Fläche präzise arbeiten. Außerdem sind sie einfach zu transportieren, wenn es in den jährlichen Langeoog-Urlaub geht. Zwei bis drei Monate kommt Gabriele Köhler mit den Stiften aus, bis sie neue braucht. „Wenn man sie vergisst, zuzuschrauben, dann wird es bloß eine Stunde,“ scherzt sie.
Doch auch klassischer Acrylbuntlack aus der Tube – mit Pinseln aufgetragen oder manchmal mit dem Zahnstocher – hat seine Verwendung im Atelier, genauso wie Schablonen, Schwämme oder Messerchen. Alle Farben, die Gabriele Köhler verwendet, haben das Schaukelpferdsymbol und sind somit für Kinderspielzeug geprüft. Lässt man die Steine draußen liegen – weil sie niemand findet oder, wahrscheinlicher, zur Dekoration im Garten – verschwindet die Farbe innerhalb von zwei Jahren und lässt einen naturbelassenen Stein zurück. Glitzer verwendet die Malerin nur, wenn sie weiß, dass die Steine ausschließlich drinnen ausgestellt werden: „Da folgen wir Steinemaler einem Ehrenkodex.“
Wie wird man eigentlich Steinemalerin? Der Weg war für Gabriele Köhler ganz einfach: Man nehme eine Portion Lockdown, eine Prise Tatendrang und ein Malset, das eigentlich für die Enkel aufgehoben wurde – und schon ist die Steinemalerin fertig. Schwieriger war es, fortan die richtigen Steine aufzutreiben, denn diese müssen möglichst flach und glatt sein. Am Anfang ging die frisch gebackene Künstlerin ins Gewerbegebiet auf den Bauhof: „Da habe ich meine Kapuze ganz tief ins Gesicht gezogen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Inzwischen bringen ihr Freunde die Steine von der Ostsee mit.
Dabei kann Gabriele Köhler eigentlich gar nicht malen – sagt zumindest sie selbst. Bei einem Volkshochschulkurs, den sie vor längerer Zeit mitmachte, wurde sie nicht warm mit der Materie und wurde wieder nach Hause geschickt. „Da waren aus den Stiefeln, die wir malen sollten, Flip-Flops geworden.“ Aber jeder, der mit offenen Augen über die Insel stöbert und einen ihrer bunt lackierten Steine findet, wird offensichtlich eines Besseren belehrt: Gabriele Köhler kann malen, und zwar bunt, knallig und fröhlich. Sie ist schließlich eine Steinemalerin. -rsc-